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Marokkos Luft- und Raumfahrtindustrie hebt ab

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Neben Masse soll auch viel mehr Klasse in der Luftfahrtindustrie eine entscheidende Rolle spielen. Größere Wertschöpfung vor Ort und F&E sollen künftig das Wachstum antreiben.

Aviation

Von Ullrich Umann, GTAI

Die marokkanische Luft- und Raumfahrtindustrie entwickelt sich rasant. Allein der jährliche Exportwert der Branche ist zwischen 2020 und 2023 von 1,3 Milliarden auf mehr als 2 Milliarden Euro gestiegen. Neben dem Fahrzeugbau ist damit ein zweiter technologieintensiver Industriezweig entstanden. Aus Gründen der Flugsicherheit gelten hier sogar noch höhere Qualitätsstandards als in der Automobilindustrie. 

Anders als in der Automobilindustrie werden in der marokkanischen Luft- und Raumfahrtindustrie keine Endprodukte, sondern ausschließlich Zulieferteile für die Endmontage von Flugzeugen und Hubschraubern im Ausland hergestellt. Damit hat sich Marokko für die internationale Luft- und Raumfahrtindustrie als exportorientierter Produktionsstandort für Teile und Komponenten, aber auch für die Wartung und Instandsetzung von Triebwerken etabliert.

Die Auslandshandelskammer (AHK) Marokko mit Sitz in Casablanca organisiert für den Zeitraum 13. bis 17.5.2024 eine Delegationsreise unter dem Titel "Geschäftsanbahnung in der Luftfahrtindustrie: Digitalisierung und Nachhaltigkeit im Fokus". Interessierte deutsche Unternehmen können sich direkt an die AHK wenden.

Nach Angaben des Branchenverbandes GIMAS zählte die Branche Anfang dieses Jahres 142 Unternehmen. Zusammen beschäftigen sie 20.000 Mitarbeiter. Das jährliche Exportvolumen des Industriezweigs liegt bei über 2 Milliarden Euro. Neben der geografischen Nähe zu Europa, der gut entwickelten Infrastruktur, den stabilen wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen und den moderaten Produktionskosten zählt auch das Fachkräfteangebot zu den Gründen, warum in- und ausländische Branchenfirmen in Marokko produzieren.

Angebot an Fachkräften lässt bessere Fertigungstiefen zu

Ausgehend vom steigenden Fachkräfteangebot möchte die marokkanische Regierung das bisher geltende "low value"-Konzept zur Investorenanwerbung mit einem "best value" anreichern: Künftig sollen nicht nur kostengünstige manuelle Tätigkeiten, sondern auch kostengünstige Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für ein Branchenwachstum sorgen.

Insbesondere wissensintensive Zulieferer sollen ins Land gelockt beziehungsweise niedergelassene Firmen zum Nachzug ihrer Forschungs- und Entwicklungsabteilungen angeregt werden. Untersuchungen haben nämlich ergeben, dass sich der Anteil der örtlichen Wertschöpfung seit Jahren hartnäckig bei 40 Prozent hält.

Branchenfirmen rekrutieren Fachkräfte aus mehreren Ausbildungszentren. Dazu gehört das Institut de Formation aux Metiers de l’Aeronautique (IMA), das 2011 in Casablanca eröffnet wurde. Das Institut entstand unter maßgeblicher Beteiligung des französischen Technologiekonzerns und Triebwerksspezialisten Safran. Fachkräfte bilden ebenfalls die Université Euro Méditerranéenne in Fes, die Al Akhawayn University in Ifrane und die Ecole Nationale Supérieure d’Electricité et de Mécanique in Casablanca aus.

Safran hatte schon 2011 eine Forschungszusammenarbeit mit der Moroccan Foundation for Advanced Science, Innovation and Research (MASciR) vereinbart. Dem schloss sich 2014 eine zweite Vereinbarung mit dem marokkanischen Ministerium für Hochschulbildung und Forschung zur Doktorandenbetreuung in den Bereichen Aeronautik, Verbundstoffe, Nanotechnologie, additive Fertigung und Mechanik an.

Starker französischer Konsolidierungsbeitrag

Safran arbeitet Hand in Hand mit Airbus an der Konsolidierung der Branche und bindet weitere TIER-2-Zulieferfirmen in die lokale Wertschöpfung ein. Dazu gehört die französische FIGEAC Aero, die im Februar 2024 eine Produktionsstätte in Casablanca eröffnet hat. Am neuen Standort fertigt FIGEAG großvolumige Triebwerksverkleidungen und liefert diese an SAFRAN Nacelles aus. SAFRAN stellt am Ende der Wertschöpfungskette unter anderem das Triebwerk LEAP-1 her, mit dem der Airbus A320neon ausgerüstet wird.

Diese Flugzeugteile werden in Marokko gefertigt:

  • Rumpfsegmente aus Aluminium und Verbundwerkstoffen
  • Hauptstrukturen, Rippen und Beplankungen für Tragflächen
  • Höhen- und Seitenleitwerke
  • Streben und Verkleidungen für die Start- und Landemechanik
  • Triebwerke und Triebwerksteile, darunter Turbinengehäuse, Kompressorengehäuse, Brennkammern sowie Turbinenverkleidungen
  • Inneneinrichtungen wie Sitze, Verkleidungen, Lichttechnik und Sanitäranlagen
  • Elektro-, Hydraulik- und Pneumatiksysteme

Französische Unternehmen tragen 70 Prozent zur mengen- und wertmäßigen Produktion in der marokkanischen Luft- und Raumfahrtindustrie bei. Beim Airbus-Konzern handelt es sich zudem um ein europäisches Unternehmen, an dem neben Spanien auch Deutschland beteiligt ist. In Marokko fertigt der Konzernverbund an mehreren Standorten unter anderem Rumpfsektoren, Flügelkomponenten, Leitwerksbaugruppen und Triebwerksgondeln, Kabelbäume und Elektrosysteme. Zusätzlich verfügt Airbus in Casablanca über ein Entwicklungszentrum für Flugzeugteile. 

Investoren aus weiteren Ländern, darunter aus den USA, Kanada und Spanien, halten die restlichen 30 Prozent der Anteile an der marokkanischen Luft- und Raumfahrtindustrie. Boeing eröffnete 1999 ein Werk in Casablanca und fertigt dort Flugzeugteile für die Modelle 737, 747 und 787. Anders als Airbus und Safran haben Unternehmen aus anderen Ländern aber relativ wenig zur Konsolidierung der Branche beigetragen. Boeing gründete jedoch mit Safran Electrical & Power das Gemeinschaftsunternehmen MATIS Aerospace, das Kabelbäume und Kabelverbindungen für den Einbau in Flugzeugen herstellt.

Die kanadische Pratt & Whitney setzt auf eine wissensbasierte Wertschöpfung bei ihrer kommenden Investition. So wird der Triebwerkshersteller eine Niederlassung mit 200 hochqualifizierten Angestellten im Industriepark MidParc in der Nähe zum Flughafen Casablanca gründen. Wie die Präsidentin von Pratt & Whitney Canada, Maria Della Posta, hervorhob, habe ihr Unternehmen Casablanca im Ergebnis eines weltweiten Standortvergleichs ausgewählt. Den Ausschlag hätten drei Gründe gegeben: Erstens befindet sich die marokkanische Luft- und Raumfahrtindustrie im Aufschwung, zweitens sind Fachkräfte verfügbar und drittens erwiesen sich die Ansiedlungshilfen der marokkanischen Regierung als äußerst zielführend.

Chancen für Investitionsgüter aus Deutschland

Deutsche Hersteller von hochleistungsfähigen Maschinen und Anlagen zur Oberflächen- und Materialbearbeitung sowie die deutsche Elektrotechnik-, Elektronik- und Chemieindustrie treffen in der marokkanischen Luft- und Raumfahrtindustrie auf gute Absatzchancen, wie ein Vertreter von Airbus hervorhob. Das gilt im besonderen Maße auf kurze und mittlere Frist, da die marokkanische Regierung und niedergelassene Branchenfirmen die Fertigungstiefe und lokale Wertschöpfung vergrößern wollen.

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